Eigentlich bin ich es leid. Seit wann hat die Spreewelle einen politischen Auftrag? Dieses vermaddeldeite 2016 mit seinem dramatischen Finale im November diktiert der Spreewelle schon wieder eine Sonderausgabe. Nicht, dass das Spaß macht. Gar nichts macht Spaß in diesen Tagen. Wenn man daran denkt, wie sich Amerika da am 9.11. entschieden hat. Wenn man in Betracht zieht, welche Konsequenzen für Europa und die Welt das nach sich ziehen wird. Und wenn man sich bewusst wird, dass ein Großteil dieses Schicksals in den kleinen speckigen Händen eines zornigen, egomanischen und in allen Belangen völlig unzulänglichen alten Mannes liegt.
Aber was tun? Wie reagiert man musikalisch auf dieses beschissene Weltereignis? Mit einem wütenden Protestalbum? Mit einer Kompilation ätzender Hardcoremusik, die laut FUCK YOU schreit? Mit einem schwarzen Album, das über 40 Tracks nichts als Stille spielt?
Keine schlechten Ideen. Und trotzdem: Blanke Wut, schwarzer Humor oder stille Resignation – das alles hilft nicht weiter. Die 138. Ausgabe will aber genau das: Weiterhelfen. Durch diese angsteinflößenden Tage, in denen die Politik ihren doppelten Boden verloren zu haben scheint und das Ende der Welt nur noch ein paar Wahltermine entfernt sein könnte.
1. REM – It’s the End Of The World
Genau. Das Ende der Welt. Das ist der Beginn dieser Spreewelle. REM liefert dafür die unausweichliche Hymne. Für den Opener präsentiert sich der 1987 aufgenommene Song in einer fast schon herzigen Klavierversion. Es war dieser Song, bzw. dessen Lyrics, der den Ausschlag für diese Konzeptkompilation gab. Warum? Weil tatsächlich in den wirren Worten von Michael Stipe der Orangfarbene beim Namen genannt wird. Unbeabsichtigt, weil als Verb – aber eben doch penetrant genug, dass „It’s The End Of The World (And I Feel Fine)“ den Auftakt zu den 20 Liedern voller Trauer, Trost und Trotz bilden kann.
Team by team reporters baffled, trump, tethered, crop
Look at that low plane, fine, then
Uh, oh, overflow, population, common group
But it’ll do, save yourself, serve yourself
(…)
It’s the end of the world as we know it
It’s the end of the world as we know it
It’s the end of the world as we know it
And I feel fine
2. S Carey – Fire Scene (Alt Version)
Das Spiel mit dem Feuer, das das Cover und den Trailer ziert, setzt sich in dem gespenstisch ruhigen zweiten Song fort. S Carey ist der Drummer von Bon Iver und stammt aus Wisconsin. Sein zerbrechlicher Song handelt von mißbrauchtem Vertrauen. Gut, kann man sagen, was heißt hier Vertrauen? Wer hat Donald Trump im Wahlkampf ernsthaft Vertrauen geschenkt? Genau. Keiner. Und das ist es, was uns alle so viel Angst macht. Denn Ehrlichkeit, die Carey in „Fire Scene“ eindringlich einfordert, ist dem „Politik-“ Stil dieser Person vollkommen fremd.
The city’s fire
Trapped behind the earth
Digging in your deepest dirt
On and On
All I want is honesty
3. Amber Run – 5 AM
Ähnlich asketisch wird Amber Run am Piano begleitet. Eigentlich geht’s in dem Song um Alkoholismus und verlorene Unschuld. Bezeichnenderweise heißt er „5 AM“. Genau die Uhrzeit, zu der in Deutschland am morgen des 12. November alle Welt von „Schockstarre“ sprach. Pennsylvania war ausgezählt, Hillary schon längst mehr als nur angezählt. Das Rennen war gelaufen.
And you don’t know what you’ve got until it’s gone.
And you don’t know who to love until you’re lost.
And you don’t know how to feel until the moment’s passed.
I wish you’d live like you’re made of glass.
4. Sleeping At Last – North
Kurz nach 5 am Morgen nach dem Wahltag. Da sehnt man sich nach „Sleeping At Last“. Das erste Mal harmonische, sogar romantische Töne auf dieser Spreewelle. Schlaf ist etwas Wunderbares. Für ein paar Stunden liegt alles, was die Nacht hindurch passiert ist, in einer anderen, fernen unwillkürlichen Welt. Schlaf, oh Schlaf, hättest Du doch länger gehalten.
5. The Slow Show – Bad Day
Aber dann gab es das böse Erwachen. Es war alles immer noch da. Es war alles immer noch wahr: Amerika hat sich bewusst verwählt. Ein Kater für alle, die diese Welt auf dem richtigen Pfad wähnten. Musikalisch werden die hämmernden Kopfschmerzen von Slow Show und dem wunderbar langsam-torkelnden „Bad Day“ begleitet – quasi ein Gegenstück zu Lou Reeds „Perfect Day“.
We’ll take it down, take it downtown,
and you can dance with me.
We’ll take a pill, we’ll take a pill please.
6. Beautiful Small Machines – Paper Planes
In der nächsten Phase erwacht dann langsam die Wut. Fuck. Das kann doch nicht sein. Müssen wir jetzt raus auf die Straße? Wo kann man seine Stimme erheben, wenn man sie nicht abgeben dürfte? Raus! Dem Ärger Luft machen. Für solche Fälle hält die Popmusik das Genre der Protestsongs bereit. Einer der wuchtigsten und musikalisch am spannendsten Mittelfinger-Nummern ist MIAs fast exakt 10 Jahre alter Song „Paper Planes“. Wir nehmen aber ein bißchen brachiale Wucht raus und lauschen der etwas entschleunigten Interpretation von den „Beautiful Small Machines“.
All I wanna do is *Bang Bang Bang Bang*
And *Click* *Ka-Ching*
And take your money
7. Josh Ritter – Temptation Of Adam
Ein Protestsong im Schafpelz ist auch Josh Ritters schon 2009 veröffentlichtes „Temptation of Adam“. In klassischer Singersongwriter-Manier erzählt Ritter von der Liebe in Zeiten der Apokalypse. Ein wirklich anrührender Song, der auch auf der Antitrump-Compilation „30 Days 30 Songs“ zu hören war und in den sich auch Stungbysongs.de verliebte.
Oh, I think about the Big One, W.W.I.I.I.
Would we ever really care the world had ended
You could hold me here forever like you’re holding me tonight
I think about that great big button and I’m tempted
8. Sufjan Stevens – Fourth Of July
Wir sind immer noch mitten im Verarbeitungsprozess. In den Tagen nach der Wahl wechselte sich ironisch-verbitterte Sichtweisen mit echt schmerzenden Angstschüben ab. Sufjan Stevens ist per se eine gute Wahl, wenn es um filigranes Songwriting geht, das den Schmerz besingen kann. In „Fourth Of July“, das gerade im Wiesbadener Tatort einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, geht es auch um Schmerz, Verlust und Tod. Und irgendetwas ist ja auch gestorben in der Nacht vom 9. November.
The evil it spread like a fever ahead
It was night when you died, my firefly
What could I have said to raise you from the dead?
Oh could I be the sky on the Fourth of July?
9. Patti Smith – Until The End Of The World
Mögen die äußeren Umstände noch so dringlich sein: U2 hat nichts auf der Spreewelle zu suchen. Da muss schon Patti Smith das leider ziemlich gute „End Of The World“ covern, damit wir da rechtlich auf der richtigen Seite sein. Die Version passt wie die Faust aufs Auge in diesen traurigen Reigen.
Haven’t seen you in quite a while
I was down the hold, just passing time.
Last time we met it was a low-lit room
We were as close together as a bride and groom.
We ate the food, we drank the wine
Everybody having a good time except you.
You were talking about the end of the world.
10. Nick Mulvey – I Don’t Want To Go Home
Es gibt diese Momente, in denen aller Gram verfliegt. Harte Arbeit, Netflix, Saufen: Alles, was ablenkt, ist eine Wohltat. Aber Trump spritzt seine Tweets wie ein Besessener in die Medien. Und die haben nichts Besseres zu tun, als aus jedem unfassbar absonderlichen Twitter-Absonderung eine Titelstory zu machen. Deshalb: Genießt die Zeit draußen. I Don’t Want To Go Home.
If you know me, this morning
Been sleeping by the road
You die in different and?
And I don’t want to go home
I don’t want to go home
I don’t want to go home
11. Novo Amor & Ed Tullett – Faux
Das ging jetzt gerade ziemlich geradeaus. Eine kleine Abküh- und Erho-lung soll dem geneigten Hörer auch gegönnt sein. Denn weiter geht es mit dem sphärischen „Faux“ von Novo Amor & Ed Tullett. Eine sehr merkwürdige, schwebende Nummer – deren Text so kauderwelschig daher kommt, dass ich immer noch nicht so hundertprozentig sicher bin, inwieweit hier eine Textpassung vorliegt. Aber konzentrieren wir uns mal auf den Sound und die Songstruktur. „Faux“ beginnt folkig und handzahm, schraubt sich dann aber bedächtig hoch – in der Mitte eine Zäsur, Neuanfang, Crescendo – Ungewissheit.
Cower all your cinders, fake us
bower in your shivers, shake us
Cower all your cinders, fake us
bower in your shivers, shake us
12. Klangstof – We Are Your Receiver
Großes, lautes, atmosphärisches Indiekino auch direkt im Anschluss. Klangstof aus Norwegen malen auf der großen Leinwand. Es geht um: Antennen, Empfänger, kryptische Schockwellen.
We are your receiver yet I need no more to stay alive
I am your antenna for today
But I only receive those cryptic shockwaves
13. Slow Show – Northern Town
In die Band „Slow Show“ aus dem Brexitland hab ich mich ein bißchen verliebt. Ganz hervorragend arrangierte Songs versammeln sich auf deren neuem Album „Dream Darling“. Für die Trumpwelle schlüft die Band in die Rolle der Versöhner und und stimmt das Heimatliebeslied „Northern Town“ an. Und das ist ja auch ein Gedanke. Hier bei uns wäre so ein 9.11. nicht möglich gewesen. Äh. Halt Moment. Ehm. Schwieriges Datum. Leider doch kein wertvoller Gedanke. Und Kehrtwende. Natürlich: So ein Desaster ist auch hierzulande denkbar – jederzeit.
I think that I’m in love with a northern town
that always been so good to me
and give a man like me
some dignity
14. Lanikai – I’m Glad
Ein Schmunzeln in jener Nacht. Die Einwanderungsbehörde von Kanada kam nicht mehr hinter die Anfragen aus dem Nachbarland her. Stimmt wahrscheinlich nicht, ist aber trotzdem eine schöne Geschichte. Die Sängerin der Imaginary Cities, die aus Kanada stammt, hat gerade mit Lanikai ihr neues Bandprojekt vorgestellt. Auf der frisch erschienenen EP gibt es vier sehr schöne, zwischen den Zeiten angelegte Popmusik. Die warmen harmonischen Folgen von „I’m Glad“ haben es auf die Mottoplatte geschafft. Warum? Weil Kanada. Und weil man sich bei all dem Weltschmerz auch an seinen eigenen, dann doch noch ganz gut funktionierenden Gemütszustand erinnern sollte. Und weil die ersten Zeilen nun wirklich gut ins Konzept passen.
When all the world is fast asleep
but I can’t get a wink
and I’ve lost all my faith
in humanity
15. Francesco Yates – What’s Going On
Dann zum Ende hin dann doch noch mal ein waschechter Protestsong. In der Interpretation von Marvin Gaye natürlich nicht zu schlagen. Aber für den Bogen zum souligen Vorfinale macht der unglaublich junge Francesco Yates, der by the way ebenfalls aus Kanada stammt, seine Sache ganz gut.
Mother, mother
There’s too many of you crying
Brother, brother, brother
There’s far too many of you dying
You know we’ve got to find a way
To bring some lovin‘ here today, yeah
16. Japanese House – Swim Against The Tide
Schon fast zum Endtrio gehört „Swim Against The Tide“. Natürlich ist dieser Ausdruck auch in diesem leicht elektronisch angefrickelten Indiestückchen auf die Liebe gemünzt. Ungeachtet dessen ist es die richtige Mahnung. Resignation hilft nicht weiter. Aufstehen, Aufregen, Aufbegehren!
Sit back and open wide
Let me see you’re dead inside
It’s so hard to swim against the tide
17. Billy Ellish – Six Feet Under (Jerry Folk Remix)
Billy Ellish’s „Six Feet Under“ handelt von der Frage nach dem Neuanfang. Der Remix von Jerry Folk fügt dem eh schon schönen Track eine Schicht Coolness und Trostlosigkeit zu.
Our love is six feet under
I can’t help but wonder
If our grave was watered by the rain
Would roses bloom?
Could roses bloom
Again?
18. Beyoncé with James Blake – Forward
Und was hat Beyoncé dazu zu sagen? Wir erinnern uns noch an das Hillary-Endorsement zwei Tage vor der Wahl, gemeinsam mit dem Gatten. Geholfen hat’s nicht. Aber auf ihrer überall gelobten neuen Platte „Lemonade“ gibt es ein Duett mit James Blake, das genau ansagt, was zu tun ist. „Forward“. Mund abwischen. Weiter machen. Mitmischen.
Forward
Best foot first just in case
When we made our way ‚til now
It’s time to listen, it’s time to fight
Forward
19. Imelda May – Call Me
Das große Finale an. Vorletzter Song. „Call Me“ ist der Vorgeschmack auf das 2017 erscheinende neue Studioalbum von Imelda May aus Irland. Ein Instant Classic. Es geht um Sehnsucht. Sehnsucht nach Liebe. Und ja – um das schon mal vorwegzunehmen – Liebe ist zumindest ein Teil der Antwort.
Call, call, call, call me,
You’ve taken all the time you need,
If our love, if our love, if our love, means anything,
Baby please call, call, call, call me
20. Postmodern Jukebox – The End Of The World
Und nun: Die schließende Klammer. Nicht nur REM hat mal einen Song geschrieben, der den schönen Titel „The End Of The World“ trägt. Auch Skeeter Davis hat das getan. Das war 1062. In der Version von Postmodern Jukebox geht nichts von der Schönheit und Schlichtheit des Songs kaputt. Für Davis geht die Welt nicht dann unter, wenn ein kleinhirniger Vollidiot die Vereinigten Staaten regieren wird. Sondern dann – „when I lost your love“. Eben. Die Welt geht also nicht unter. Jedenfalls nicht automatisch. Solange wir nicht hassen. Und so lange wir nicht schweigen.
Why does the sun go on shining?
Why does the sea rush to shore?
Don’t they know it’s the end of the world?
‚Cause you don’t love me anymore…
Why do the birds go on singing?
Why do the stars glow above?
Don’t they know its the end of the world?
It ended when i lost your love…
Covercredits: Pexels.com
- R.E.M. – The End Of The World (Intro)
- S Carey – Fire Scene (Alt Version)
- Amber Run – 5:00 AM
- Sleeping At Last – North
- The Slow Show – Bad Day
- Beautiful Small Machines – Paper Planes (MIA)
- Josh Ritter – The Temptation of Adam (Live)
- Sufjan Stevens Fourth Of July (Official Audio) – Fourth Of July
- Patti Smith – Until The End Of The World (U2)
- Nick Mulvey – I Dont Want To Go Home
- Novo Amor & Ed Tullett – Faux
- Klangstof – We Are Your Receiver
- The Slow Show – Northern Town
- Lanikai – Im Glad
- Marvin Gaye – Whats Going On (Francesco Yates Cover)
- The Japanese House – Swim Against the Tide
- Billie Eilish – Six Feet Under (Jerry Folk Remix)
- Beyoncé – Forward (feat. James Blake)
- Imelda May – Call Me
- Postmodern Jukebox – The End Of The World (Skeeter Davis)