Als im späten Januar das erste Winterlüftchen von findigen Populärmeteorologen „Arctic Blast“ getauft wurde, hätte einem Angst und Bange um die frostige Februar-Ausgabe der Spreewelle können. Doch zumindest in Deutschland hat sich das mit der arktischen Kälte als ziemlicher Irrtum herausgestellt. Mehr noch: Zur Zeit dürfen wir die Wiederauferstehung es Jahrhundertsommers 2018 feiern. Weil eh immer wetterfühlig, ist die Spreewelle die erste, die dafür den passenden Soundtrack zusammenzimmert. Zumindest Seite 1 passt eher an den Pool als ins Iglu.
Blame it on the Juice!
Der Türöffner für die Strandparty? Indierap aus Minneapolis. Lizzo heißt die Interpretin, ist gerade mal 28 Jahre alt und hat mit „Juice“ das erste fette Ausrufungszeichen des Retro-Funks im Jahr 2019 gesetzt. Eine einfache, aber sicher im Sattel sitzende Nummer, die so überschwänglich und energetisch durch die 3’15 zappelt, dass einem schwindelig wird. Klingt wie Bruno Mars, nur besser.
Achtung Dammbruch!
Quasi im Windschatten von Lizzo knallt es dann wieder. Joe Jonas (ja, der von den Jonas Brothers) gründete 2015 die Band DNCE, die natürlich nichts anderes als unverschämten Pop macht. Die bislang erfolgreichste Single – und definitiv der heftigste Ohrwurm ist „Cake By The Ocean“. Und ja, die Dämme. Sie beginnen zu brechen. Die 160. Ausgabe wird gewollt oder ungewollt zur Abspielrampe der verzweifelt shazamten Partyhits der letzten Jahre. Aber dazu später mehr.
Achtung: Kultur!
Aber halt. Die Spreewelle hat ja nichts gegen Pop und Party. Aber ein bißchen Anspruch zwischendrin? Kann das schaden? Nein. Und so konzentrieren wir uns im ersten Interlude der 160 auf die Wurzeln des Genres, das nicht ganz unwesentlich zum Gesamt-Gusto der vorliegenden Kompilation beiträgt: Rap. Und was liegt da näher, als den aktuellen Grammy-Abräumer Childish Gambino sein spätes, aber verdientes Spreewelle-Debut zu gönnen. Ehrlich gesagt stand „This Is America“ schon länger auf der To Do List. Aber das Stück ist nicht uneckig. Und es funktioniert so richtig auch nur in Kombination mit dem Video, das ebenfalls mit einem Grammy ausgezeichnet wurde.
His name is…
Dieser Rap-Schwerpunkt – er macht es möglich einige Must Hears unterzubringen, die in normalen Monaten keine Chance haben oder die einfach zu alt für den Aktualitätsanspruch der Spreewelle sind. So auch folgender Track von Shad Gregory Moss. Kennen Sie nicht? Besser bekannt ist der Rapper unter dem Namen… aber was sag ich das. Das soll er lieber selber sagen. Sein größter Hit jedenfalls. Produziert von Kiffnase Snoop Doggy Dog. Nach wie vor ein Dancefloor-Füller und obendrein das erste Stück Chartmusik, das auch Untalentierte in weniger als 2 Minuten auf dem Klavier begleiten können.
Clueso, Cro, Materia: Heute dürfen alle
Und dann so: Cro. Immer eigentlich ein bißchen zu albern. Aber neulich „Du“ geshazamt. Um halb drei. Macht einfach Spaß. Und das haben wir heuer ja zum Motto auserkoren.
Über Easy Lifes „Nightmares“ (man achte auf den wie immer sehr flüssigen Übergang in der Nicht-Spotify-Version dieses Samplers) machen wir dann einen Abstecher zum deutschen Hiphop. Auch der kommt ja generell viel zu kurz, auch weil nie wirklich für ihn Platz ist. Als Brücke dient da „der gute Deutschpoet“ Clueso. Gerade wiederentdeckt sein gesamtes Repertoire, aber besonders beliebt zur Zeit „Freidrehen“. Für die Seite 1 gibt es die Live-Version, die erneut bestätigt, das Thomas Hübner nicht nur ein guter bis sehr guter Songwriter ist, sondern einfach auch ein wahnsinnig guter Sänger. Seh grad: Auf Youtube gibt’s nur die Akustik-Version, die auch keine schlechten Eltern hat.
Ich glaub es war der selbe Abend als „Geld Geld Geld“ aus den Boxen dröhnte. Und so hat endlich auch Materia seinen Auftritt auf der grünen Discokugel 160.
Es geht übrigens immer so weiter auf der Seite 1 (höre unten). Mit MØ, Tegan & Sara, The Knocks und Phoebe Ryan. Wer die Platte umdreht wird merken, dass auch Seite 2 deutlich mehr Schwung als üblich besitzt, auch wenn gern in moll. Wie zum Beispiel gleich zu Anfang. Unser Stammgast Ben Folds zeigt im angestaubten „Brick“ wahrscheinlich mit das erste Mal seine gesamte Widersprüchlichkeit. Tolle Lyriks, großartiger Refrain – und ein Stimmchen, das nicht immer so ganz mitkommt. Aber gerade das macht den Reiz auf sehr sonderbare und nicht wirklich argumentativ belastbare Art und Weise aus. Der Song ist wie erwähnt fast 20 Jahre alt, fand aber kürzlich Verwendung in der zweiten (und besseren Staffel) von Friends From College.
Möglicherweise aus ähnlichem Grund (Seriensoundtrack), aber leider nicht mehr 100% reproduzierbar kommt das Gastspiel von Tracy Bonham zustande. „Wether You Fall“ wurde 2005 veröffentlicht und es wundert mich ein bißchen, dass ich den Song erst jetzt höre. Klar, Mädchenmusik, mögen manche sagen. Aber wir haben es erstens mit einem deutlichen Frauenüberschuss in der aktuellen Spreewelle-Zielgruppe zu tun und vor allem zweitens mit einem sehr guten, klassischen Popsong. So einer, der sicher auch auf Hochzeiten gut geht. Dafür müsste man sich vorher vielleicht aber noch mal den Text genauer angucken.
Weil Seite 1 so sehr mit Partynudeln belegt ist, haben sich ein paar klassische A-Sides auf die dunkle Seite der Macht verkrochen. So zum Beispiel die – wie immer – sehr legere Musik von Kakkmaddafakka. Oder die sehr nach den Chvrches klingenden The Aces. Ebenfalls eher Seite-1 Material: Die jüngste Single der White Lies. Trotzdem ich neulich eine vernichtende Kritik zum neuen Album „Five“ gehört habe, sprechen die Spreewelle-Vorkommnisse der letzten Monate eine andere Sprache. Und wieder ist „Tokyo“ ein so fantastisch großartiger Hit, dass mir jeder Vorwurf von Berechnung scheissegal ist.
Kommen wir mal langsam zum Ende der Besprechung und damit zu Moritz Krämer. Sehr witzigerweise heißt dessen neues und erstes Solo-Album „Ich hab‘ einen Vertrag unterschrieben“ – und dabei hat er offenbar nicht aufgepasst. Denn es handelt sich gleich um ein Doppelalbum. In voller Länge noch nicht gehört, aber sehr gespannt bin ich. Bis dahin nehmen wir mit dem wunderschönen Duett mit Dota Kehr vorlieb nehmen. „Neonlicht“, ein Lied in dem „Treptower Park“ vorkommt und das endlich mal nicht von verflossener, sondern akuter Liebe erzählt.
Und zum Abschluss, weil er es sich wirklich verdient hat: Clueso. Mit seinem zweiten Beitrag auf der 160. Findenswert sind die Akustikversionen, die es vereinzelt auf Youtube gibt. So zum Beispiel der Sommergeruch „Nebenbei“.
Die gesamte Tracklist der Seiten 1 und 2 wie immer unten und direkt auf Spotify.
Coverartwork: Spreewelle
Cover Location: Potsdam