Geht los wie die letzte aufgehört hat: Die April-Ausgabe startet mit Feelgood-Pop und ist doch mehr als eine billige Kopie des Vorgängers. Dafür sorgt vor allem der neue Spreewelle-Liebling Lizzo. Aber der Reihe nach.
Shake it up
Mit einem ähnlich fulminanten Partybrummer wie weiland im März startet die 161. Ausgabe durch. Es trompeten 60s-Saxophone ein fetziges Gitarrenriff. Dazu eine – man möchte fast sagen – recht eingängige Aufforderung: „Shake it, shake it up“. Chair Model aus Oklahoma City haben gerade ihr gleichnamiges Debut veröffentlicht. Davon werden wir hier auf der Spreewelle noch länger was haben.
Small Happiness statt Big Data
Da springt das Kompiliererherz: Durch Zufall und nicht durch Spotify spülte sich Ra Ra Riots Comeback-Single „This Time Of Year“ an den Strand der Spreewelle. Einfach so – ganz ohne Algorithmus. Der Song, den die New Yorker im letzten Sommer anlässlich ihrer unvermeidlichen Unser-erstes-Album-wird-10-Tour probeaufführten, baut exakt auf die selben Kicks wie „Cherry“ auf – und macht genauso viel Spaß.
Florence Welch macht’s wieder gut
Im letzten Juni erschien Florence + The Machines viertes Album „High As Hope“. Die großen Erwartungen konnte der Longplayer leider nicht erfüllen. Zwar gab es die Übersingle „Hunger“, aber ansonsten klang Mrs Welch relativ welk. Alles so traurig irgendwie. Möglicherweise hat das auch die Band eingesehen. Jedenfalls erscheint ziemlich aus dem Nichts mit „Miracle“ 2019 eine völlig neue Single. Und die hält alles parat, was wir an F+M so schätzen: Himmelschöre, Gospeligkeit, Dynamik
Indie-Electro – da war doch mal was
Die klassische Indiepop-Gitarre befindet sich, trotz einiger Ausnahmen (vgl. u.a. Spreewelle 155, 157, 158) generell auf dem Rückzug. Das Subgenre Indie-Electro hingegen macht weiter mobil und verbreitert sein Repertoire. Soll heißen: Die Synthesizer übernehmen wieder die Macht, gepaart mit stark rhythmischen Hooks. Hm, wird das hier eine schlecht kopierte Doktorarbeit? Nö. Soll nur eine brüchig zusammengestückelte Brücke zu Low Island werden, einer aufregenden neuen Band aus Südengland. Sie servieren Dancepop, dessen vorrangiges Ziel es ist, die Leute auf den Dancefloor zu bekommen. Da hilft es, dass die Bandleader lange Jahre als DJs unterwegs waren. „In Person“ ist der bislang beste Track der Band aus Oxford.
Und noch ein perfekter Match. Das wie ein Maschinengewehr tackernde Keyboardriff von „In Person“ findet sich 1:1 bei LEX AUDREYs „Winter II“ wieder. Aus Oberösterreich kommt das Indierock-Trio und überzeugt mit diesem sehr energetisch-elegischen Song, der gleichzeitig an die 80er und an Miike Snow erinnert. Das Album trägt übrigens den schönen Titel „No Intention of Changing the World“.
Sorry, Tale Impala
Genauso wie Low Island führe ich auch The Modern Strangers weitestgehend unter dem langsam zu verwässern scheinenden Label „Indie-Electro“. „Red Strip Lights“ dängelt leicht discohaft durch seine 3’20 und lebt entscheidend von dem groovenden Refrain. Achja: Auch hier hätte sich sehr einleuchtend ein Soundanschluss zur neuen Single von Tale Impala angeboten. Aber „Patience“ kommt leider nicht richtig aus den Puschen, sondern suhlt sich lediglich in seinem eigenen Soundgewand. So hart kann die Spreewelle sein.
20 Jahre gereift
Im Anschluss bewegen wir uns ein wenig weiter mittig auf den Dancefloor und feiern einen Track, der stolze 20 Jahre alt ist. Fat Boy Slims „Praise You“ nämlich. Neu vertont von Purple Disco Machine klingt die Abi-Hymne plötzlich stark nach „Funkytown“ von Lipps, Inc. und verdoppelt damit die Chance, ganz bald mal wieder aufgelegt zu werden.
It’s Lizzo-Time
Nachdem die Discokugel noch ein paar Runden macht unterbricht Lizzo die Party, die sie auf der letzten Spreewelle so eindrucksvoll angestiftet hat („Juice“!). Ihre neue Single „Cuz I Love You“ unterstreicht mit fettem Edding, dass wir es hier mit dem kommenden Superstar des guten Pop zu tun haben. Dass sie eloquent rappen kann (und zwar im 12/8-Takt): Schon mal nicht uninteressant. Was die Amerikanerin dann aber im von Pauken und Trompeten befeuerten Refrain von sich gibt: Alter Schwede.
„Ne, hat mir richtig gut gefallen“
Nach dieser Nummer kann dann eigentlich nichts mehr kommen. Bis auf? Deichkind, die Lizzo quasi Respekt zollen. Mit „Richtig gutes Zeug“. Der neue Track erinnert natürlich heftig an „Leider geil“. Aber weil der Song ja eben auch leider geil war, ist uns das leider egal. „Richtig gutes Zeug“ ist in meinen Augen sogar noch geiler. Weil er so treffsicher die scheinbar beiläufige Wertschätzung, dieses neue Understatement des „Leider geil“ auf den Arm nimmt. Bitte von vorne bis hinten anhören. Wer mag, kann einen Joint dazu rauchen.
Wenn Deichkind die Tür einen Spalt zum Deutsch-Hiphop öffnen, dann lassen wir sie für ’nen Moment noch einen Spalt auf und geben „Löven“ ein wenig Airtime für „Anananda“ (Danke, FM4).
Mit Joan As Policewoman kannste nix falsch machen
Zum Abschluss noch ein kurzer Blick auf Seite 2. Der wirklich schönste Sonnenaufgang, der jemals für die zweite Seite gemalt wurde, kommt von Ferdinando Arnò. Für „Dream On Me“ hat sich der Italiener Joan As Policewoman ins Studio geholt. Gänsehaut.
Mit Pressyes und den lieben Parcels geht es weiter mit dem Geräkel in der Sonne. Überhaupt: Viel Optimismus im zweiten Durchgang. Am strahlensten vielleicht mit Emily Kings „You Remind Me“.
Die gesamte Tracklist der Seiten 1 und 2 wie immer unten und direkt auf Spotify.
Coverartwork: Spreewelle
Cover Location: Tempelhofer Feld
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