Skip to main content
Herrlich harmonisch lächelt die Sonne Faros aus dem Cover und tut so, als ob nichts wär. Coverphoto-Credit: Spreewelle

SPREEWELLE 184

WAKE ME UP

VÖ: 01.12.2021

Irgendwann ist auch mal gut mit den außergewöhnlichen Zeiten. Auf der letzten Etappe arbeitet sich 2021 ziemlich erfolgreich am Role Model 2020 ab und unkt sich depressiv zu Ende. Nicht so die Spreewelle. Sie schlägt im Dezember einen ganz trotzigen Ton an. Keinen Pfeifen im Walde. Eher ein Schreien im Nebel. 40 ziemlich unvorweihnachtliche Tracks für den Jahresausklang, die bei allem Groll einfach Spaß machen.

NEVER
MISS A
THING!

+ x ÷ =

Die beiden größten Superstars des Pop haben ja gerade ihre neuen Alben rausgebracht (Bravo berichtete). Und beide Künstler teilen sich die recht dämliche Eigenart, ihre Longplayer idiotisch, aber immerhin konsistent idiotisch zu betiteln. Während Adele nach „19“, „21“ und „25“ nun mit „30“ erneut alle Verkaufsrekorde bricht (und das übrigens zurecht), verkauft sich auch Ed Sheerans „=“ als Nachfolger von „+“, „x“, „÷“ und „=“ wie geschnitten Brot.  Das Problem: Das fünfte Studioalbum des omnipräsenten Rotschopfs ist wirklich fast lückenlos doof. Es gibt aber die eine, die glänzende Ausnahme. „Overpass Graffiti“ – folgerichtig die erste Singleauskopplung – kommt im zeitgemäßen 80s-Uptempo daher und bietet geradlinige Harmonien und einen herrlich säufzenden Refrain. Schapo!

3 Jungs, die nach älter klingen

Wie fängt man so einen poppigen Startschuss wieder ein? Erstmal gar nicht. Dem Hobbit folgt der aus Perth stammende Blake Rose. Mit der „gefühlvollen Single“ (RTL) „Hotel Room“ erreichte der fesche Jüngling weltweite Streamingpräsenz. Seine neue Single „Casanova“ klingt im Vergleich dazu etwas erdiger – und deutlich besser. Im selben Tempo spendet Sam Fender dann sein wieder mal verdächtig nach Bruce Springsteen klingendes neues Stück „Seventeen Going Under“. Keine große Überraschungen auf seiner neuen Platte, aber gegen gleichbleibend hohes Niveau hab ich ja nichts. Und auch Blinker meldet sich zurück. Passend zum 80s-Vibe der ersten Seite gesellt sich das sehr flüssige und deutschsprachige „True Love“ in die ersten Plätze der Tracklist.

Wir schalten nach England

Zwei Spreewelle-Debütanten gilt es dieses Mal besonders hervorzuheben. Aus Manchester bzw. London stammen The Lathums und Gently Tender. Gerade mal ein Album haben beide Bands veröffentlicht, klingen dabei aber wie alte Hasen. Lange nicht mehr so schön im slightly psychadelic Post-Punk geschwolgen (ja, sagt man so).

Ich kann’s nicht ändern, ich muss das mal gendern

Mittellustige Überschrift. Ich weiß. Aber auffällig ist die doch ziemlich harte Aufteilung in männliche (Teil 1) und weibliche Stimmen (Teil 2) auf der Seite 1. Rumort da im Kopf dann doch was rudimentär Konservatives? Irgendwas Gestriges, dass Männlein nur zu Männlein ordnet und die Damen hinten anstellt? Ich beobachte das zukünftig mal. Fakt jedenfalls ist, dass wir eine sehr große und vielfältige Auswahl ausgesprochen superer Female Acts im ersten Durchgang verzeichnen können. Quirliger Retro-Sound von Remi Wulf, Laidbackiger Slow-lectro von mabanua und charttauglicher Dreampop von SOAK zum Beispiel.

Die Dissonante bis sie fiel

puh… läuft bei den Zwischenüberschriften. Diese hier nimmt Bezug auf das Tik Tok Wunder des Jahres. Und das geht so. Singer Songwriter Matt Maltese veröffentlicht 2017 eine überlebensgroße Ballade. „As The World Craves In“ handelt aber nicht von seinem persönlichen Herzschmerz, sondern ist die songgewordene Würdigung einer hypothetischen Liebesaffäre zwischen Donald Trump und Theresa May, die in einer nicht all zu fernen postapokalyptischer Zukunft spielt. So weit so klar. Vier Jahre später entdeckte dann Youtuberin Sarah Cothran den Song und coverte ihn. Das Ergebnis: Malteses Original hat bei Youtube 5,6 Mio. Plays. Cothran kommt auf 74 Mio. Aufrufe. Der Song ist in allen Belangen Spitzenklasse – perfektes Songwriting, Wahnsinnsharmonien und Mörderdramatik. Es ist aber vor allem der von Cothran perfekt geschmachtete Power-Refrain, der diesen Track in seiner Coverversion so erfolgreich macht. Achso. Was es mit der Dissonante zu tun hat fragt Ihr Euch? Die Antwort gibt’s nur im Newsletter.

Die gesamte zweite Seite hat dieses Mal eine besonders hohe Qualität und sollte daher auch von Seite-Zwei-Skeptikern unbedingt gehört werden. Eine besondere Erwähnung erhält hierbei Marco Schmedtje, der zum Glück ganz anders klingt als er heißt. Mit „Tunnel Aus Gold“ hat der Herr den bislang schönsten deutschen Song des Jahres geschrieben (Shoutout @Sarah!). Und: „This Mess We’re In“, eine 20 Jahre alte Kollabo von PJ Harvey und Tom Yorke: Großes Drama, Baby (Shoutout @Karin!). Merry Christmas.

Cover: Spreewelle, Location: Faro.