Summer moved on @Heiligensee.
SPREEWELLE 192
WINTER SOLSTICE
VÖ: 07.11.2022
Da schließt sich ein Kreis. Nur 2 Ausgaben nach der Sommerwelle herrscht Dunkelheit am heiligen See. Die Nummer 192 ist besonders stolz auf ihre zweite Hälfte. Deshalb drehen wir heut mal den Spieß um und beginnen das Booklet mit eben jener. Die Spotify-Playlisten befinden sich wie immer ganz unten.
NEVER
MISS A
THING!
Vorgezogene Wintersonnenwende
Das Titelstück der 192. Spreewelle ist vielleicht der bislang untypischste Phoenix-Song in der über 25-Jahre andauernden Geschichte der Band. „Winter Solstice“ ist die dritte Single aus dem gerade erschienen Album „Alpha Zulu“. Möglicherweise muss man Hardcore-Fan sein und gleichzeitig eine kaum erklärliche Verbundenheit zur Stimme von Thomas Mars fühlen, um diesen sonderbaren, sphärischen, dunkel-leuchtenden Track sofort ins Herz zu schließen. Sicher helfen auch die Visuals. So meditativ das Klanggerüst – wie so oft bei den Franzosen passiert da einiges Irritierendes im Hintergrund. Zum Beispiel, dass sich bei eigentlich straightem 4/4 Takt die Akkordabfolge alle drei (!) Takte wiederholt. So ist man immer einen gefühlten Takt wieder am Anfang. Das gibt dem Ganzen eine ziemlich undurchsichtige Struktur. Der der perfekte Opener für den herrlich kühl-melancholischen Auftakt zu Seite 2.
Etwas mehr Rhythmus (bzw. überhaupt Rhythmus), aber ebenfalls melancholisch mäandernd: Die aus Stuttgart stammende Band Zimmer90. Aufregend! „Therefor“ ist Track 2, geht ins Ohr und passt perfekt auf die „Im-Zug-Nachhause-Fahren“ Playlist. Catchy Traurigkeit kann auch SOHN. Das wissen wir verbrieft seit seinem ersten Album „Tremors“ mit dem Überhit „Artifice“. Nach dem sein zweiter Wurf „Rennen“ ein bisschen in der Nichtsnutzigkeit verweilte, scheint das 2022er „Trust“ wieder mehr Mut zum Hit mitzubringen. „Segre“ (nicht Sergé, wie mir meine innere Rechtschreibprüfung immer vorschlägt) ist mit seinem hypnotisch-meditativen Refrain wie gebaut für den edelmütig-depressiven Einstieg in die Seite 2, bei dem auch Asgeir eine Rolle spielt. Ganz ähnliche Entwicklung. Nach starkem Karrierebeginn knickte es irgendwie. Die neue Single „Snowblind“ macht diesen Ausrutscher wieder ungeschehen.
Raus aus der Belanglosigkeit
Wo coole, Mellowbeats sind, ist Flume meist nicht weit. Diesem ganzen Future Bass / Dubstep / Electro Genre wurde auf der Spreewelle bislang wenig Beachtung geschenkt. Eigentlich völlig zurecht. Denn oft genug rutscht das Ganze in Eintönigkeit und, ja, Belanglosigkeit ab. Interessant wird das Ganze eben nur, wenn der Stil sich verbiegt und im SingerSongwriting-Unkraut wildert. Gutes Beispiel ist „Ripple“, von Flume produziert, aber umgesetzt von Sycco. Ein bisschen Drum’n’Bass liegt da unten, dezent und zurückhaltend. Oben drüber eine tolle Melodie, ein großer Refrain. Früher in den frühen 2000ern gab es eine Phase, in der diese Art des Smooth Electros mit Lounge-Anleihen nicht nur gern gehört, sondern vor allem auch kredibel war. Eine Band von damals hat grade eine neue Single rausgehauen. Nein, nicht Morcheba, sondern: Röyksopp. „Let’s Get It Right“ klingt 100% nach der Röyksopp-DNA. Stammt vom letzten Teil der in diesem Jahr erschienen Comeback-Album-Trilogie. Und passt irgendwie gut in diesen Novemberblues.
Ein Track, drei Versionen
Is ja immer aufwändig, die Spreewelle bei Spotify zusammenzustellen. Aber das ist nicht der Ort, an dem feingeschliffen wird. Dort geschieht normalerweise lediglich der Recherche-Prozess. Wenn es dann langsam soweit ist, müssen alle (meist so um die 80) Tracks bei iTunes, entschuldige, Apple Music, geladen und schließlich in die Endredaktion gegeben werden. So gräßlich das Programm mittlerweile geworden ist: Für die Festlegung der Dramaturgie ist es unumgänglich. Aber, wo war ich. Ach ja: Jordan Rakei mit „Nerve“ in der Single Version bei Spotify gefunden und für gut befunden. Zack zu Apple Music, bzw. zu Youtube. Dort dann zwei alternative Versionen vorgespielt gekriegt. Einmal als Mahogany Session mit Gitarre, einem 3-köpfigen Chor und einer brutal anziehenden Inszenierung. Und dann noch als nackte Klavierfassung. Ich stell Euch hier mal alle drei Versionen zur Verfügung und bin noch nicht sicher, welche Interpretation es auf die Endliste schafft.
Fast Forward
Jetzt aber ruckizucki zu Seite 1. Dort eröffnen schon wieder die omnipräsenten Phonixe – mit einer zuckeligen Mixtur aus Lisztomania, 80s Sounds und The Strokes-Vocals. Und das Ganze so optimistisch und schmissig, wie es eben bei den eh immer etwas leidenden Parisern geht. Schwungvoll? Das haben auch Razorlight nicht verlernt. Gutgelaunt singen sie 2022 „You Are Entering The Human Heart“ und erinnern auf gute Art an ihre frühen Werke. Achja. Erinnern. Der Track ist zwar dufte, aber auch ein ganz schön dreistes Ripoff. Die hippeligen Besen auf der Snear, das tanzende Klavier – warte mal, das kenn wa doch. Genau. Das ist eine leicht abgewandelte Version von The Cures „Lovecats“. Immer noch ein geiles Stück. Und eigentlich so untypisch für Robert Smith.
Good Night & Good Luck
Nach dem sehr gut gelaunten Anfang, der mindestens 5 Stücke hält, wechselt die erste Seite dann gleich mehrfach ihre Farbe. Hiphop, guter Deutsch-Indiepop, und auch die Sex Pistols haben ihren Auftritt. Warum stand im Newsletter (oben abonnieren). Die kleine Bettlektüre möchte ich schließen mit BILBAO, die mit THALA ein wunderbares, leuchtendes Duett veröffentlicht haben. „Slow It Down“ nimmt tatsächlich den Fuß vom Gas und überzeugt mit großer, schwelgender Melodie.